4. SONNTAG DER OSTERZEIT

11. Mai 2014

Evangelium nach Johannes 10,1-10

Gedanken zum Evangelium

Beim Hinhören auf dieses Evangelium ist mir eine kleine Geschichte aus einem schwedischen Waldmärchen eingefallen, das ich vor 30 Jahren gelesen habe. Ich habe sie wiedergefunden und möchte sie Ihnen vorlesen. Sie heißt: „Was ist das Leben?“

An einem schönen Sommertag war um die Mittagszeit tiefe Stille im Wald eingetreten. Die Vögel steckten ihre Köpfe unter die Flügel, und alles ruhte. Da steckte der Buchfink sein Köpfchen hervor und fragte: "Was ist das Leben?" Alle waren betroffen über diese schwere Frage. Eine Rose entfaltete gerade ihre Knospe und schob behutsam ein Blatt ums andere heraus. Sie sprach: "Das Leben ist eine Entwicklung." Weniger tief veranlagt war der Schmetterling. Lustig flog er von einer Blume zur anderen, naschte da und dort und sagte: "Das Leben ist lauter Freude und Sonnenschein." Drunten am Boden schleppte eine Ameise sich mit einem Strohhalm ab, zehnmal länger als sie selbst, und sagte: "Das Leben ist nichts als Mühe und Arbeit..." Es hätte nun einen großen Streit gegeben, wenn nicht ein feiner Regen eingesetzt hätte, der sagte: "Das Leben besteht aus Tränen, nichts als Tränen..." Hoch über ihnen zog ein Adler majestätisch seine Kreise, der frohlockte: "Das Leben ist ein Streben nach oben." Dann kam die Nacht. Nach einer Weile ging ein Mann durch die leeren Straßen nach Hause. Er sagte vor sich hin: "Das Leben ist ein ständiges Suchen nach Glück und eine Kette von Enttäuschungen." Nach der langen Nacht kam endlich die Morgenröte und sagte: "Wie ich, die Morgenröte, der Beginn des kommenden Tages bin, so ist das Leben der Anbruch der Ewigkeit."

Was ist das Leben? Wer hat Recht? Müssen wir nicht zu jeder einzelnen Meinung sagen: „Jein“? Ein Student, dem es die letzten Monate nicht besonders gut ging, meinte auf die Frage, was er sich von Gott wünsche: "Dass ich wieder lebe!" - „Leben“, unsere tiefste Sehnsucht? So tief, dass wir nicht mit einfachen Worten sagen können, wass das dann ist?

Gott möchte, dass wir nicht bloß vegetieren oder ums Überleben kämpfen, sondern dass wir volles Leben, ein Leben in unvorstellbarer Fülle finden, sagt Jesus (Joh 10,10). „Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat" (Joh 3,16). Die Botschaft Jesu ist eine Botschaft des Lebens, das er uns verspricht, das wir bei ihm finden können.

Jesus versucht uns das deutlich zu machen mit Hilfe von Bildern wie „Hirte“, „Tür“: Ein Hirt ist jemand, der ohne Wenn und Aber für uns da ist, dem wir vertrauen können, dem an unserem Wohlergehen gelegen ist und der uns zum Leben führt. Jesus ist die Türe, durch die die Menschen auf Gott zugehen, zu Gott finden können. Wer durch diese Türe geht, findet deswegen zur Fülle seines Lebens. Wer auf Jesus hört, findet zum geglückten Leben, denn das kann nur ein Leben mit Gott sein. Jesus ist der Zugang zu Gott.

Wir müssen aber auf ihn hören, seine uns vertraute Stimme erkennen unter den vielen Stimmen, die tagaus tagein auf uns einreden. Alle Angebote, die uns Glück verheißen (durch Konsum, Erfüllung aller unserer materiellen Bedürfnisse, durch Erfolg, Ansehen, aber auch durch Beruf und Familie …), können letztlich nur Teilerfüllungen sein. Jesus verspricht „Leben in Fülle“: Freude, Glück, Zufriedenheit, die unsere tiefste Sehnsüchte erfüllen.

Ich muss aber auf seine Stimme hören, sie zwischen den vielen Stimmen erkennen, die auf mich einreden und mir allerhand versprechen. Ich muss mit seiner Persönlichkeit vertraut sein, mit seinen Worten, seiner Lebensweise, seinen tiefsten Absichten. Ich muss mich von ihm angezogen fühlen, betroffen bis in die Tiefe meines Herzens, so dass ich auch bereit bin, mich selbst, mein Leben ins Spiel zu bringen, meine Zeit und meine Energie für die Sache Jesu einzusetzen. Und was das heißt, hat Papst Franziskus in einer Ansprache an die österr. Bischöfe (30.1.2014) so formuliert. „Von Gott reden, die Botschaft von der Liebe Gottes, ist Aufgabe eines jeden Getauften. Und diese umfasst nicht nur das Sprechen mit Worten, sondern alles Handeln und Tun. Unser ganzes Dasein muss von Gott reden, selbst in unscheinbaren Dingen.“

Wir alle sind von Jesus Gerufene, Berufene. Fühlen wir uns von ihm angesprochen? Hören wir seine Stimme, tief in unserem Herzen? Sind wir überzeugt, dass wir bei ihm, durch ihn, das wahre, erfüllte Leben finden?

Zum Archiv